Das Magazin des German Design Council
Humanoide Roboter

Zwischen Faszination und Unbehagen

Robotik
Wie anthropomorph dürfen Roboter sein? Ab welchem Punkt kippt die Menschenähnlichkeit in Unbehagen und Ablehnung? Die Frage ist weder neu noch abschließend beantwortet. Aber angesichts des Hypes um humanoide Roboter so aktuell wie schon lange nicht mehr.

Im Februar machte ein interessantes Video die Runde: Es zeigt eine menschenähnliche Gestalt, die zunächst bewegungslos von der Decke hängt und plötzlich zu zucken beginnt, sich windet und zappelt – ein Anblick, der zugleich fasziniert und verstört. Das Video stammt von Clone Robotics, einem polnischen Start-up, das damit seinen Protoclone V1 präsentiert.

Unter der weißen, elastischen Folie – oder sollte man Haut sagen? – arbeitet ein System aus 1.000 künstlichen Muskeln, Myofasern genannt, die hydraulisch, also mit Wasserdruck, in Aktion versetzt werden. Nicht nur damit unterscheidet sich das Konzept von fast allen anderen, in der Regel elektrisch bewegten Kollegen aus der Gattung der Humanoiden. Auch damit, dass die Muskeln an einem Skelettsystem ansetzen, das mit seinen 206 Elementen die Anatomie des Menschen abbildet. Es gibt einen Torso, ein Becken, eine Wirbelsäule, bis hin zu feinen „Fingerknochen” der dünnen Hände, die in Aktion seltsam gruselig anmuten. Vier Tiefenkameras hinter dem Kopfvisier, Trägheits- und Drucksensoren melden in Echtzeit ihre Werte an die Mikrokontroller in der Wirbelsäule, die wiederum Hochdruckpumpe und Ventile ansteuern. Das Ziel: Mit wenig Energie große Beweglichkeit und Muskelkraft realisieren. Und irgendwann soll der schon vorbestellbare Clone Alpha dann auch aufrecht gehen können – ob das so geschmeidig gelingt, wie die Animation auf der Website zeigt, darf hinterfragt werden. Leider hat sich Clone Robotics trotz mehrfacher Nachfragen dazu nicht geäußert.

„Es gibt einen Torso, ein Becken, eine Wirbelsäule, bishin zu feinen Fingerknochen der dünnen Hände, die in Aktion seltsam gruselig anmuten“

Der Sprung ins Unheimliche Tal

Wenn man das Szenario von Clone Robotics einigermaßen ernst nimmt, dann stellen sich dringliche Fragen, die weit über die reine Technik hinausreichen. Im Kern geht es darum, was einen Roboter menschlich macht. Dies beschäftigt Ingenieurinnen, Designerinnen und Philosoph*innen seitdem der japanische Robotiker Masahiro Mori 1970 die These des „Unheimlichen Tals“ prägte, bekannt als „Uncanny Valley“. Diese sagt, dass unsere Akzeptanz umso stärker wird, je menschenähnlicher ein Roboter wird – bis zu einem kritischen Punkt, an dem die Ähnlichkeit so groß wird, dass sie Unbehagen auslöst. Es könnte aber durchaus sein, dass „dieser Effekt wieder in Akzeptanz umschwingt, wenn die Roboter wirklich menschengleich sind“, gibt Wulf Loh vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen (IZEW) zu bedenken. „Sprich: Bewegt Data aus Star Treknoch im Uncanny Valley oder hat er das schon überwunden?“

Auf den Protoclone angesprochen, meint Dr. Werner Kraus, Forschungsbereichsleiter für Automatisierung und Robotik am Fraunhofer-Institut IPA: „Vom Design her sind wir tatsächlich noch im Uncanny Valley, bei dem der Roboter nach meinem Empfinden mehr Furcht als Sympathie auslöst.“ Seine Bedenken gehen über das reine Erscheinungsbild hinaus: „Von einem so menschenähnlichen Roboter erwartet man, dass er alles kann, was auch wir Menschen können. Davon sind wir technisch aber noch ein großes Stück entfernt“. Vor allem zuverlässige sowie flexible Hände seien momentan eine der größten Herausforderungen – neben der Fähigkeit, mit unvorhersehbaren Situationen oder unbekannten Objekten klarzukommen. Der Protoclone mit seiner biomimetischen Auslegung führt in den Videos des Start-ups lebensechte Bewegungen aus, auch dank komplexer Gelenke und hoher Freiheitsgrade. So besteht die Schulter aus vier Gelenken, die 20 Freiheitsgrade bieten, die Hand kommt auf 26 Freiheitsgrade, so das Entwicklungsteam. Es könnte also durchaus sein, dass er agiler ist als Menschen.

„Je menschenähnlicher ein Roboter wird, destostärker steigt unsere Akzeptanz – bis zu einemkritischen Punkt, an dem die Ähnlichkeit so großwird, dass sie Unbehagen auslöst“

Warum Humanoide so interessant sind

Letztlich geht es um Roboter, die nicht nur stupide, repetitive Aufgaben erledigen, sondern in menschlichen Umgebungen selbstständig agieren können, ohne dass diese für sie umgestaltet werden müssen. Die Realität sieht trotz des aktuellen Hypes anders aus: „Humanoide sind über das Testen von prototypischen Anwendungen hinaus noch weit von der Praxis entfernt“, erklärt Kraus. „Derzeit sind Humanoide vor allem in kontrollierten Test-Umgebungen effektiv, während sie in dynamischen, unstrukturierten Szenarien oft scheitern.“ Die Herausforderungen sind vielfältig: „Dazu gehören die Verbesserung der Feinfühligkeit, insbesondere der Hände bzw. Greifer, das Erkennen und Verstehen von komplexen Umgebungen sowie die natürliche Interaktion mit Menschen.“ Welchen Einfluss allein die Umgebung hat, zeigte sich kürzlich auf der Messe Automatica: Die humanoiden 4NE-1 von Neura Robotics blieben deaktiviert, weil sie mit der Messesituation, insbesondere den akustischen Bedingungen, nicht klarkamen. Es bleibt also vorerst beim Traum vom alles könnenden Universalroboter.

China: Der neue Hotspot der Humanoiden

Während westliche Unternehmen noch nicht einmal in der Beta-Phase sind, hat sich China zum Epizentrum der humanoiden Robotik entwickelt. „Mehr als 100 Unternehmen fokussieren sich dort auf die Entwicklung Humanoider. Das Entwicklungstempo ist massiv“, berichtet Kraus von seiner jüngsten Reise nach Fernost. Die dortige Herangehensweise unterscheidet sich fundamental: „Schnell iterieren, schnell scheitern und schnell neu beginnen. Das ist die chinesische Strategie.“ Kraus besuchte Unternehmen, die binnen zwei Jahren lauffähige humanoide Prototypen entwickelten und diese jüngst auf eine Halbmarathon-Strecke schickten. Seit 2023 stehen in China die humanoiden Roboter ganz oben auf der Agenda – auch, um die Wirtschaftskraft trotz des demografischen Wandels zu erhalten.

Design zwischen Funktion und Akzeptanz

Die Gestaltung humanoider Roboter steht vor einem grundlegenden Dilemma: Sollen sie möglichst menschlich aussehen oder bewusst als Maschinen erkennbar bleiben? Kraus plädiert für einen funktionalen Ansatz: „Die Idee von ‚Form follows Function‘ haben wir als hilfreich erlebt, damit Nutzern schnell die Funktionen des Roboters ersichtlich sind. Das Design sollte darauf abzielen, eine Balance zwischen Funktionalität und Ästhetik zu finden. Ein ansprechendes, aber nicht übermäßig menschenähnliches Aussehen kann helfen, Irritationen oder gar Ängste zu vermeiden.“ Das Design wird zur Botschaft: Ein menschenähnlicher Roboter suggeriert Partnerschaft und Vertrautheit, birgt aber die Gefahr falscher Erwartungen. Wulf Loh beschreibt diese Gratwanderung so: „Einerseits geht es um eine freudvolle Interaktion zwischen Mensch und Maschine, andererseits sollte die Maschine immer als solche erkennbar bleiben“.

Die Ethik der synthetischen Menschen

Die Vision von synthetischen Menschen wirft fundamentale ethische Fragen auf, so Wulf Loh. „Bei der Anthropomorphisierung, beziehungsweise bei der Zoomorphisierung geht es um emotionale Bindungen“, erklärt Loh. „Die Design-Elemente, die man dafür braucht, um Menschen empathisch anzusprechen, sind oft sehr, sehr klein.“ Über Augen etwa könnten sehr emotionale Signale gesendet werden. „Die Gefahr ist“, führt Loh weiter aus, „dass menschliche Beziehungen durch Roboter ersetzt werden oder soziale Pflichten an Maschinen delegiert werden, beispielsweise Kinderbetreuung“.

Die Verantwortung liegt in der Entwicklung: „Auch Designerinnen und Designer müssen sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst sein“. Loh plädiert für den Einbau von „Disruptionen“, also von Elementen, die User daran erinnern, dass sie es mit Maschinen zu tun haben.

„Auch Designerinnen und Designer müssen sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst sein“

– Wulf Loh vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen (IZEW)

Wo Humanoide zuerst ankommen

„Wirtschaftlich betrachtet sind gewerbliche Anwendungen aktuell die interessantesten“, erklärt Kraus. In einer aktuellen Studie identifiziert sein Team den größten Mehrwert in der flexiblen Einsetzbarkeit – eine Art Springertätigkeit ohne große Umrüstaufwände. Haushaltsanwendungen bleiben vorerst nicht nur kostenmäßig eine schöne Vision. In der Pflege sind die Hürden besonders hoch, hier geht es auch um Sicherheit. Solange die Gefahr besteht, dass ein Humanoider unkontrolliert stürzt, ist ihr Einsatz dort  ausgeschlossen.

Daher geht das Start-up Devanthro mit seinen Haushaltshilfen für betagte oder eingeschränkte Menschen anders vor. Die Robody genannten Maschinen sind nicht auf Beinen, sondern Rädern unterwegs. „30 Prozent unserer Kunden, die wir ansprechen wollen, leben in Wohnungen. Die Hälfte derer, die in Häusern wohnen, nutzen nur noch eine Etage“, sagt Rafael Hostettler von Devanthro. Räder sind zudem sicherer: „Niemand will einen Roboter, der bei einem Ausfall auf einen Menschen stürzt“. Die Robodys haben bereits mehrere Pilotphasen hinter sich und sollen Anfang 2027 marktfähig sein – ferngesteuert. „Insbesondere im Pflege- oder Zuhause-Kontext stellt es einen großen Mehrwert dar, wenn auf der anderen Seite ein Mensch ist.“ Ein Mensch, der auch erkennbar im Kopfdisplay eingeblendet wird und den Robody mit VR-Tools steuert. Das soll so intuitiv geschehen, dass auch Angehörige, die nicht vor Ort sind, assistieren können. 85 Prozent der bisherigen Proband*innen sollen ausgesprochen zufrieden sein.

„Wie Menschen und Roboter miteinander leben und arbeiten werden, hängt auch von unserer Bereitschaft ab, die Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem neu zu definieren“

Die Zukunft der Mensch-Maschine-Koexistenz

Loh sieht eine fundamentale Veränderung kommen, ähnlich der industriellen Revolution – mit dem Unterschied, dass Arbeit ihren gesellschaftlichen und persönlichen Stellenwert verlieren wird, weil Roboter die Tätigkeiten übernehmen. Diese Transformation erfordert mehr als nur technische Perfektion. Sie verlangt nach neuen sozialen Normen, rechtlichen Rahmen und ethischen Standards. Wie Menschen und Roboter miteinander leben und arbeiten werden, hängt auch von unserer Bereitschaft ab, die Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem neu zu definieren. Die Zukunft der Robotik wird nicht nur in Laboren geschrieben, sondern in der Art, wie wir diese Technologie gestalten und als Gesellschaft mit ihr umgehen wollen.

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