
70 Jahre Rat für Formgebung
Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft
70 JAHRE RAT FÜR FORMGEBUNG – 70 JAHRE DESIGNKULTUR
»Creating Community« Dritte deutsche Designdebatte
Seit nunmehr 70 Jahren trägt die Stiftung Rat für Formgebung mit Sitz in Frankfurt am Main in allen Bereichen des Designprozesses zu dessen Kommunikation, Wissenstransfer, Vernetzung und Förderung bei. Weltweit sind unzählige Initiativen, Konzepte und Formate entstanden, die Design mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik verbinden.
Dritte Deutsche Designdebatte
CREATING COMMUNITY
An der Veranstaltung am 22. Juni 2023 nahmen Kollektive und Persönlichkeiten teil, die mit ihrer Arbeit gesellschaftliche und wirtschaftliche Änderungen herbeiführen. Sie reflektierten über die Kernbereiche, mit denen der Rat für Formgebung seit seiner Gründung befasst ist – Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Bildung –, und präsentierten ihre Visionen für eine lebenswerte und gerechtere Zukunft. Disziplinenübergreifendes Arbeiten, das Bündeln vieler Kompetenzen und das stetige Wachsen von Netzwerken sind Beispiele dafür, dass über die letzten Jahre ein Paradigmenwechsel zu beobachten ist: Lösungen, Konzepte und Produkte, die von Kollektiven, in Kollaborationen, in Teams oder über Kooperationen entstehen, erfahren eine immer höhere Dringlichkeit, Sichtbarkeit und Anerkennung.
Mit der Debatte möchte der Rat für Formgebung diese Entwicklungen fokussieren und die verbindenden und für Veränderungen grundlegenden Eigenschaften aus dem weiten Feld des Designs offenlegen.
Veranstaltungsprogramm
Grussworte und Eröffnung durch:
Prof. Mike Richter, Präsident Rat für Formgebung
Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung
Impulsvorträge:
David Kusuma, Präsident World Design Organization – The Importance of Design Towards a Better Tomorrow
Young Designers Circle, repräsentiert durch Kimia Amir-Moazami, Muhammed Khan und Pedro Sáez Martínez – Not There Yet
Designdebatte:
Hartmut Esslinger – Design for Industry
Francesca Bria – A Green and Digital Deal That Starts From Data Democracy and Citizens’ Participation
Sunny Dolat – Designing Identities: Building and Reclaiming Black African Narratives
John Maeda – Design and Artificial Intelligence: Hype? Or Hope?
Kate Crawford – Reality Machines: Politics of AI and Design

A Green and Digital Deal That Starts From Data Democracy and Citizins' Participation
Wenn wir in die Zukunft blicken, müssen wir uns vorrangig mit der ökologischen und digitalen Revolution auseinandersetzen. Die technologischen Fortschritte, die durch die Einführung von Trends wie Big Data, künstliche Intelligenz und Supercomputing beschleunigt werden, haben weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft unseres Planeten. Wenn diese Technologien demokratisch gesteuert und verwaltet werden, haben sie das Potenzial, einige der dringendsten Herausforderungen der Menschheit zu lösen, bergen aber auch große Risiken.
Francesca Bria, ehemaliger Chief Technology Officer der Stadt Barcelona und derzeit Beraterin der Stadt Hamburg und der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zum Neuen Europäischen Bauhaus, hat Pionierarbeit bei der Einführung eines neuen Bürgervertrags für Daten und digitale Demokratie geleistet und Tausende von Bürger*innen in die Formulierung der Politik der Stadt Barcelona einbezogen. Diese Initiative fördert die Entwicklung von Technologien im Dienste der Menschen und die gemeinsame Nutzung von Daten durch Unternehmen und Gemeinschaften und stellt sicher, dass Daten und künstliche Intelligenz auf ethische und demokratische Weise verwaltet werden, um fundiertere und effizientere öffentliche Entscheidungen zu treffen.
Bria vertritt eine Innovationsagenda, die den Menschen und die Umwelt in den Mittelpunkt stellt und fest in unseren demokratischen Grundsätzen und Werten verwurzelt ist, die auch den Kern der Vision des Neuen Europäischen Bauhauses bildet.

Reality Machines: Politics of AI and Design
Generative KI wird bereits von Millionen von Menschen weltweit genutzt. Sie verändert nicht nur die Art und Weise, wie Menschen Informationen finden, schreiben und Bilder produzieren, sondern sie verändert auch die Wahrnehmung der Realität selbst – so wie die künstliche Perspektive in der Malerei des 15. Jahrhunderts. Dies hat tiefgreifende soziale und politische Auswirkungen und stellt gleichzeitig eine sehr reale Bedrohung für die Art und Weise dar, wie Kunst und Design bewertet werden.
Professorin Kate Crawford ist eine international führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der sozialen Auswirkungen der künstlichen Intelligenz. Sie ist Forschungsprofessorin an der USC Annenberg in Los Angeles, Senior Principal Researcher bei MSR in New York, Inhaberin des ersten Gastlehrstuhls für KI und Justiz an der École Normale Supérieure in Paris. Ihr jüngstes Buch, Atlas of AI (Yale, 2021), wurde u. a. mit dem Sally Hacker Prize der Society for the History of Technology und von New Scientist ausgezeichnet und von der Financial Times zu einem der besten Bücher des Jahres 2021 gekürt.
In ihrer 20-jährigen Forschungskarriere hat sie bahnbrechende kreative Kollaborationen und visuelle Untersuchungen realisiert. Ihr Projekt „Anatomy of an AI System“ mit Vladan Joler befindet sich u. a. in der ständigen Sammlung des Museum of Modern Art in New York.
Sie hat politische Entscheidungsträger*innen bei den Vereinten Nationen, im Weißen Haus und im Europäischen Parlament beraten und leitet derzeit das Knowing Machines Project, eine internationale Forschungskooperation, die die Grundlagen des maschinellen Lernens untersucht.

Designing Identities: Building and Reclaiming Black African Narratives
Ausgehend von der Arbeit und Praxis des The Nest Collectives untersucht Sunny Dolat die Rolle des Designs in Afrika. Auf dem Kontinent, der über Jahrhunderte durch Imperialismus und Kolonialismus tiefgreifend geprägt wurde, und in dem sich verschiedene Kulturen und Geschichten überschneiden, erhält der Prozess des Aufbaus und der Rückgewinnung von Identitäten durch Design eine einzigartige Bedeutung.
Anhand von Beispielen kultureller Repräsentation, nachhaltiger Praktiken und sozialen Aktivismus‘ wird Sunny Dolat erörtern, wie Design als notwendiges Instrument zur Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit, zur Wiederbelebung des kulturellen Erbes und zur Neudefinition afrikanischer Identitäten auf der globalen Bühne dient.
Sunny Dolat ist Kulturproduzent, Kreativdirektor und Modekurator. Als Mitbegründer des The Nest Collective fördert er aktiv Kunst und Kultur in Kenia. Er beschäftigt sich mit sozialen und politischen Herausforderungen auf dem Kontinent und befasst sich in seiner Arbeit insbesondere mit dem Platz Afrikas in globalen und kulturellen Debatten und Dialogen.
Dolat arbeitet in unterschiedlichen Funktionen in der Kreativ- und Kulturindustrie in Ostafrika und engagiert sich in zahlreichen Beratungsgremien. Er war als Creative Strategy Manager beim HEVA Fund tätig, dem ersten Förderinstrument der Kreativwirtschaft dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent. Zuletzt war Dolat Mitglied des Kuratorenteams, das die Ausstellung „Africa Fashion“ im Victoria and Albert Museum in London erarbeitet hat, und stellte mit dem Kollektiv auf der documenta 15 aus.

Design for Industry
Hartmut Esslinger widmet sich in seinem Vortrag der Design-Ausbildung in Deutschland. Ausgehend davon, dass Design als ein hoch anspruchsvoller Beruf zur Erschaffung von innovativen, industriell hergestellten physischen Produkten, digital programmierten, virtuellen Software-Applikationen, KI, sowie medialer Inhalte und Kommunikation zu definieren ist und sich aktuell im Brennpunkt industrieller Dynamiken mit all ihren derzeitigen Herausforderungen befindet, arbeitet Esslinger in seinem Vortrag die Gelingensbedingungen für die nachfolgende Designer-Generation heraus.
Esslinger gilt als einer der einflussreichsten Industriedesigner weltweit, der 1969 zusammen mit seiner Partnerin Patricia Roller mit frog design die erste globale Designagentur mit heute weit über 30 Standorten gegründet hat. Er war der erste Designer, der bedienungsfreundliches und ansprechendes High-Touch-Design in die Welt der digitalen Kommunikations- und Medientechnologie brachte.
Mit frog design und seinen hunderten von kreativen Mitstreiter*innen verhalf er Unternehmen wie Louis Vuitton, Sony und SAP zu globaler Prominenz. Seine Zusammenarbeit mit Steve Jobs ab 1982 stellte die Weichen zu Apple’s Welterfolg, und war Beginn einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Design in den USA. Im Jahr 2017 erhielt er die World Design Medal der World Design Organization. Mit dem Rat für Formgebung verbindet Esslinger eine lange Geschichte – er gewann 1969 den erstmals ausgelobten Designpreis "Gute Form" der Bundesrepublik Deutschland.

Design and Artificial Intelligence: Hype? Or Hope?
Technische Fortschritte, wie Elektrizität, Eisenbahn, Telefon, Automobil oder in jüngerer Zeit Personal Computer sind immer von einem Hype, gepaart mit einem gewissen Maß an Hoffnung, geprägt. Sollten wir nun angesichts des Hypes um Basismodelle künstlicher Intelligenz optimistisch, ängstlich oder gleichgültig sein und vermuten, dass der Trend nächstes Jahr schon wieder vorbei sein wird?
John Maeda ist führender amerikanischer Technologe im Bereich der Produkterfahrung für Verbraucher*innen und Unternehmen. Früh trieb er die Entwicklungen für generative Kunst und computergestütztes Design für kommerzielle Anwendungen an. Maeda ist erster Empfänger des National Design Award des Weißen Hauses für algorithmisch generierte Visualisierungen auf der Grundlage von Daten und KI.
Derzeit ist er als Vizepräsident für Design und künstliche Intelligenz bei Microsoft tätig, und als Buchautor, Online-Influencer und Investor in verschiedene Startups aktiv. Zuvor war Maeda u. a. als Chief Technology Officer von Everbridge und Vorstand von Sonos tätig sowie Leiter der Datenvisualisierung im MIT Media Lab.
Mit Veröffentlichungen, Interviews oder Vorträgen ist er unter anderem in folgenden Medien präsent: Wall Street Journal, New York Times, TED, BBC, CNN, The Economist, Forbes, USA Today. Zu seinen Auszeichnungen gehören u. a.: Drei Ehrendoktorwürden, TIME Best Twitter 140, White House National Design Award, LinkedIn Top 10 US Influencer.

The Importance of Design Towards a Better Tomorrow
David Kusuma, Präsident der WDO, ist ehemaliger Senior Vice President of Product Management & Innovation bei Oregon Tool. Davor war David Kusuma Vice President of Research & Innovation und Vice President of Product Development Worldwide bei der Tupperware Brands Corporation. Er unterlief während dieser Zeit die konventionellen Grenzen der Innovation zu, indem er neue Technologien und Materialien entwickelte, um bahnbrechende Produktlösungen zu schaffen.
Die World Design Organization ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die den Berufsstand des Industriedesigns und den Ansatz fördert, bessere Produkte, Systeme, Dienstleistungen, bessere Unternehmen und Industrien und schließlich eine bessere Umwelt und Gesellschaft zu schaffen.

Not There Yet
Der 2020 gegründete Young Designers Circle der World Design Organization (WDO) fördert die Kreativität und den Ehrgeiz junger Designer*innen unter 30 Jahren aus verschiedenen Disziplinen und Regionen. Das Programm steht im Einklang mit der Mission der WDO, Design für eine bessere Welt zu schaffen und ihrem Ziel, durch Design zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs) beizutragen. Kimia Amir-Moazami, Muhammad Kahn und Pedro Sáez Martínez stellen das YDC-Projekt „Not there Yet“ vor, eine globale Forschungs- und Gesprächsreihe, die auf der diesjährigen Berlin Design Week ihren Auftakt fand.

Rebecca Caroline Schmidt ist seit November 2012 Geschäftsführerin (Managing Director) des Forschungszentrums „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität. In dieser Eigenschaft ist sie für die Koordination des wissenschaftlichen Zentrums verantwortlich und zugleich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement und Wissenstransfer tätig. Außerdem übernahm sie 2020 die administrative Geschäftsführung des neu gegründeten Forschungsinstituts „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ und die administrative Koordination des Clusterprojekts „ConTrust – Vertrauen mit Konflikt“ des Landes Hessens.