
Die Wiederentdeckung des Haussmann-Werks
Sie war eines der Highlights der vergangenen Ausgabe der Zurich Design Weeks: Die Installation „wieder spiegeln“ im Soeder-Store im Zürcher Hauptbahnhof setzte die Trix & Robert Haussmann Collection in Szene. Acht runde Spiegel waren zu einem Kreis gefügt und rahmten den Teppich „Stripes“, einen Entwurf von Trix (*1933) und Robert Haussmann (1931–2021) aus dem Jahr 1984. Auf einem Podest gelagert, entfaltete er sein illusionistisches Schwarz-Weiss-Muster, das an ein gefaltetes Tuch erinnert.
Die Neuauflage des ikonischen Teppichs bildet nur den Auftakt einer Reihe von Objekten, die das Werk des Zürcher Architekten- und Designerpaares in die Gegenwart tragen wollen. Trix Haussmann trat dafür die Lizenz- und Urheberrechte an Christof Hindermann, Designer und Gründer von Bureau Hindermann, und an den Szenografen Tobias Maurer ab. Ziel des eigens dafür gegründeten Werkverlags Edition H ist es, das Haussmann‘sche Oeuvre zu bewahren, zu katalogisieren und für neue Produktionen und Kollaborationen zu öffnen.


Christof Hindermann, woher kommt Ihre Faszination für das Werk der Haussmanns?
Christof Hindermann: Schon mein Vater hat für Trix und Robert Haussmann und ihr Studio „Allgemeine Entwurfsanstalt Zürich“ gearbeitet. Als Polsterer hat er die berühmten „Kronenhallen“-Barstühle und Polsterbänke von 1965 sowie die Sessel für die DB-Lounge von 1995 gepolstert. So war ich schon früh in Kontakt mit den Arbeiten der Haussmanns. Ganz prägend war natürlich, dass ich mein erstes Praktikum in ihrem Büro absolvierte.
Was hat Sie damals am Beginn Ihrer eigenen Laufbahn besonders fasziniert, was fand Eingang in Ihre eigene Arbeit?
Es war vor allem die Art und Weise, wie hier an einer Idee, einem Entwurf gearbeitet wurde. Das Duo hielt – spielerisch, aber auch immer selbstkritisch – den Ball am Laufen, bis der jeweilige Torschuss gelang. Ebenso fand ich den Umgang mit Sprache und Sprachbildern sehr eindrücklich und inspirierend. Auch waren die bildende Kunst und Künstler*innen ständige eine Begleitung im Alltag von Trix und Robert Haussmanns, was sich auch in ihren Arbeiten abzeichnet.
Für meine Arbeiten und Arbeitsweise, aber ebenso für meinen Alltag, sind Humor und eine gewisse Ironie zentral. So beschleicht mich sehr oft in meinem Metier das Gefühl, dass sich die Autor*innen selbst viel wichtiger nehmen als die Arbeit, die sie eigentlich erschaffen sollten.
„Mich beschleicht sehr oft in meinem Metier das Gefühl, dass sich die Autor*innen selbst viel wichtiger nehmen als die Arbeit, die sie eigentlich erschaffen sollten.“
– Christof Hindermann
Was schätzen Sie an den Arbeiten der Haussmanns besonders?
Ihre Arbeiten spielen mit unserer Wahrnehmung, überraschen und fordern die Sinne heraus. Sie nutzen Trompe-l’oeil-Effekte, setzen auf Experimente, Illusionismus und Augenzwinkern. Die beiden haben als Paar immer auf Augenhöhe gearbeitet; in sechs Jahrzehnten haben sie gemeinsam ein Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Zudem bestechen die Arbeiten durch handwerkliche Raffinesse und hohe Materialqualität.
Die Haussmanns erfanden für ihr Werk den Begriff des „Manierismo critico“. Was versteht man darunter?
„Manierismo critico" ist der Begriff, der Trix’ und Roberts Herangehensweise beschreibt. Er ist eine Neuinterpretation der historischen Manierismus-Stilrichtung, bei der moderne Paradigmen, wie beispielsweise das Verhältnis von Form und Funktion (function follows form statt form follows function), auf spielerische und humorvolle Weise dekonstruiert werden. Für mich bedeutet dies eine kritische Auseinandersetzung mit den Gestaltungsdogmen der jeweiligen Zeit. Es handelt sich jedoch um eine Kritik, die nicht mit erhobenem Zeigefinger auftritt, sondern sich in durchdachten und subversiven Gestaltungsbeispielen äußert. So entstand im Falle von Trix und Robert Haussmann die Serie „Lehrstücke“, die diese Haltung durch lustvolle und reflektierte Objekte zum Ausdruck bringt. Matthias Kappeler hat dazu vor ein paar Jahren einen Kurzfilm produziert, der die Essenz gut auf den Punkt bringt.


„Die beiden haben als Paar immer auf Augenhöhe gearbeitet; in sechs Jahrzehnten haben sie gemeinsam ein Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht.”
Christof Hindermann
Spiegelt sich dieser Ansatz auch in Ihrer eigenen Arbeit?
Ein zentrales Element davon ist für mich der „spielerische Ernst“, bei dem Tradition nicht einfach kopiert, sondern neu interpretiert wird. Ebenso wesentlich ist die Auseinandersetzung mit Materialität und der Wirkung auf Objekt und Raum. Besonders der Spiegel und seine verschiedenen Qualitäten sind prägende Elemente, die sich auch in unserer eigenen Arbeit wiederfinden.
Was unterscheidet diesen Stil von dem der Postmoderne?
Die Postmoderne unterscheidet sich meiner Meinung nach vom „Manierismo Critico“ darin, dass ihr häufig die kritische Reflexion gegenüber dem Bestehenden fehlt. Sie kann formal spannend sein, ist inhaltlich jedoch leer – gewissermaßen ein unkritischer Manierismus. Oder, etwas zugespitzt: form follows finance.
Was reizt Sie daran, diese historischen Entwürfe heute neu ins Spiel zu bringen?
Die Entwürfe der Haussmanns sind leider nur einer kleinen Kennerschaft bekannt. In der Schweiz genießen sie zwar den Ruf von Ikonen, aber international hat ihr Werk noch nicht den Stellenwert, den es verdient. Wir möchten dazu beitragen, ihr Werk in die Breite zu bringen.

Ein riesiger Fundus, so ist anzunehmen?
Ja, Trix und ich saßen oft zusammen, um das Werk zu sichten. Klar war, dass wir die Entwürfe nicht nur konservieren, sondern auch der heutigen Zeit anpassen wollten – eine Gratwanderung.
60 Jahre Entwurfsgeschichte – von wie vielen Objekten reden wir ungefähr?
Bei den bereits einmal realisierten Designobjekten, wie Sitzmöbeln, Leuchten, Tischen und Textilen, handelt es sich um mehr als 100 Objekte. Dazu kommen noch alle Entwürfe, die bislang nicht umgesetzt wurden.
Wie sah der Auswahlprozess für die ersten Objekte in der Edition H aus?
Gemeinsam suchten wir als erstes den Teppich „Stripes“ und den Teppich „Dégradé aus, die von den Haussmanns 1990 entworfen worden waren. Beim ikonischen „Stripes“ mit seinem Faltenwurf-Design ließen sich die beiden von einem zart fließenden, schwarz-weiß gestreiften Seidenchiffonschal inspirieren. Nach einer Recherche bei den Schweizer Teppichmanufakturen schien uns die Teppichmanufaktur Ruckstuhl als eine der ältesten der Schweiz dafür geeignet. Zudem war es so, dass uns diese mit technischen Innovationen und ihrem reichen kulturellen Erbe überzeugen konnte.
„Die Neuauflage schaut ganz generell nicht nur in die Designgeschichte, sondern auch in die Zukunft.”
Christof Hindermann
Wo haben Sie in der Neuauflage bewusst moderne Akzente gesetzt?
Die Neuauflage schaut ganz generell nicht nur in die Designgeschichte, sondern auch in die Zukunft. Es ist die erste Teppichkollektion weltweit, deren Oberschicht zu 60 % aus wiedergewonnener Wolle besteht. Diese stammt von nicht mehr getragenen Kleidern, die zu einem Garn verarbeitet wurden. Zudem verfügen die Teppiche über einen digitalen Produktepass. Dieser enthält strukturierte Informationen über das Produkt und dessen gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung bis zur Entsorgung. Zudem bildet er mit NFT-Technologie in unserem Fall die Garantie, dass es sich um ein Original von Trix und Robert Haussmann handelt.
Wann wird es weitere Entwürfe aus dem Haussmann-Archiv geben?
Wir sind bereits dran. Für den Sternekoch Andreas Caminada möchten wir die Stühle der Zürcher Kronenhallen-Bar neu auflegen. In einer spezifischen Materialisierung und mit einer kleinen Signatur, die Exklusivität verspricht.

Werden auch bislang nicht produzierte Entwürfe zum Leben erweckt? Und wie wahrt man da die Umsetzung im Haussmann‘schen Sinn? Oder anders gefragt: Wann ist es noch ein Haussmann?
Ja, bei allen drei „Atlantis“-Entwürfen aus der neuen Trix & Robert Haussmann Collection der Teppichmanufaktur Ruckstuhl handelt es sich um Arbeiten, die bisher noch nie realisiert wurden. Der regelmäßige Austausch mit Trix Haussmann ist dabei zentral, um sicherzustellen, dass die Umsetzung ihren Vorstellungen entspricht. Ich schätze diese persönlichen Treffen sehr, auch um für mich selbst zu prüfen, ob ich tatsächlich in ihrem Sinne und Geist handle – etwa, wenn es darum geht, Entwürfe heutigen Anforderungen an Normen oder Fertigungstechniken anzupassen oder zu entscheiden, welche Arbeiten in welcher Form neu aufgelegt werden sollen. Hier war es besonders toll zu sehen, dass wir mit der durch Bureau Hindermann editierten Version der „Spacegrid Edition 2025“, einer Tapisserie mit Spiegelintarsien, zu 100 Prozent den Geist der Erfinder*in getroffen haben. So zumindest war die spontane Reaktion von Trix Haussmann bei der Besichtigung dieses Werks und der dazu entstandenen Installation „wieder spiegeln“ im Hauptbahnhof Zürich.
Ihr Sparringspartner ist Tobias Maurer. Welche Perspektive bringt er in die Edition H?
Dass sich unsere Wege kreuzten, war kein Zufall. Tobias Maurer bewarb sich im Sommer 2022 bei Bureau Hindermann für die Projektleitung eines Szenografieprojektes. Ich war nicht nur von der Eloquenz seines Bewerbungsschreibens angetan, sondern auch vom herzlichen Umgang und der neugierigen Art, Dinge zu hinterfragen und sich zugleich für Neues begeistern zu lassen. Als er mich bei unserem ersten Treffen nach meiner Praktikumszeit bei Trix und Robert Haussmann fragte, war ich einerseits überrascht, dass jemand, der mehr als zwanzig Jahre jünger ist, überhaupt noch weiß, wer Trix und Robert sind. Andererseits erkannte ich sofort, dass er sich intensiv mit der Schweizer Designkultur auseinandergesetzt hatte. So kam es, dass ich Tobias dafür gewinnen konnte, sich neben seinem Masterstudium in Kopenhagen auch dem Konzept für Edition H zu widmen – der Beginn unserer gemeinsamen Zusammenarbeit. Mir ist es seit jeher ein Anliegen, im Team zu arbeiten. Mit Tobias ist zudem jemand im Projekt involviert, der sich unvoreingenommen an dieses große Werk von Trix und Robert Haussmann wagt. Natürlich ist es da wichtig zu erfahren, wie die nächste Generation dieses Werk liest und welche zeitgenössischen Bezüge sie dazu herstellt.


