Das Magazin des German Design Council
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Lucas Muñoz Muñoz

„Designer ist ein Beruf mit Verantwortung”

ICONIC AWARDSInterview
Wie lassen sich Möbel und Innenräume gestalten, ohne neue Materialien zu verwenden? Durch die Betrachtung des Bestehenden als Ressource. Lucas Muñoz Muñoz, „Interior Designer of the Year“ der ICONIC AWARDS 2025, über kreative Regeln als Motor für Gestaltung und das Potenzial bewusst freigelegter Räume.

Lucas, kannst du uns ein wenig über deinen Werdegang zum Designer erzählen? 

Ich habe klassisches Produktdesign studiert und vor etwa 20 Jahren meinen Abschluss gemacht. In meinem Portfolio waren Projekte wie ein Autoradio, ein Türgriff – Dinge dieser Art; Produktdesign, wie es früher üblich war. Aber dann wurde mir klar, dass die Ideen, die ich entwickeln wollte, nicht wirklich industrialisiert waren und auch nicht mit traditionellen Produkten oder der Industrie in Verbindung standen.

Nach sieben Jahren zog ich nach Eindhoven und begann wieder bei Null. Meine Zeit dort fühlt sich wie die Halbzeit meiner beruflichen Laufbahn an. Mit fast 30 begann ich einen zweijährigen Master in Eindhoven; seit fünf Jahren bin ich wieder in Madrid. Die meisten meiner aktuellen Projekte entstehen hier, was sehr praktisch ist – und gut zu meiner Arbeitsweise passt. Ich arbeite und produziere gerne vor Ort, wann immer es möglich ist.

 

„Ich betrachte den Raum wie ein großes Objekt, an dem man von innen heraus arbeitet.“
Lucas Muñoz Muñoz

Du arbeitest in sehr unterschiedlichen Bereichen. Wie unterscheidet sich dein Ansatz, wenn du an einem Raum arbeitest, im Vergleich zur Gestaltung eines Objekts oder einer Ausstellung? 

Es gibt eigentlich keine feste Methode, aber der Kontext ist klarer, wenn man an einem Raum arbeitet, als wenn es um ein Objekt geht. Ich betrachte den Raum wie ein großes Objekt, an dem man von innen heraus arbeitet. Für die Biennale in Venedig haben wir zwei fast fünf Meter hohe Säulen gebaut – riesige Objekte. Sowohl bei Objekten als auch bei Räumen versuche ich, Möglichkeiten einzuschränken, indem ich mir selbst Regeln setze. Es ist wie bei Spielen: Je mehr Regeln, desto mehr Spaß.

Welche Art von Regeln?

Ich stelle mir Fragen wie: Wie viel kann ich über die Materialien – ihre Herkunft oder ihren ökologischen Fußabdruck – erfahren, bevor sie bei mir ankommen? Wie kann ich die Menschen vor Ort einbeziehen? Wie kann ich vermeiden, neue Dinge zu kaufen? Diese Regeln machen den Prozess spannend und lenken Entscheidungen so, dass keine die Grundprinzipien verletzt.

Bei Objekten ist es ähnlich. Kann ich es vereinfachen? Kann ich es irgendwie roher gestalten? Manchmal dauert es einen ganzen Monat, bis man auf eine einfache, winzige, beinahe alberne Lösung kommt – nachdem man mehrere andere ausprobiert hat.

Deine Arbeit hinterfragt konventionelle Vorstellungen von Möbeln, indem sie neue Wege im Umgang mit Materialien aufzeigt und die Formgebung von Objekten neu definiert.

Ich glaube, Regeln schaffen Grenzen. Ein Stuhl muss zum Beispiel etwas sein, worauf man sitzen kann, und Materialien müssen an Ort und Stelle bleiben, um recycelt zu werden. Also habe ich einfache Vorgaben festgelegt, und innerhalb dieser Vorgaben entfalten sich meine Designentscheidungen. Ich brauche dieses Material hier – es darf nicht verschwinden. Wenn es verschwindet, weiß ich, dass es nie recycelt wird. Deshalb muss ich einen Weg finden, es hier zu halten. Sobald die Rahmenbedingungen feststehen, definieren sie die Gestaltungsmöglichkeiten. Es muss dann einfach so sein. Mit all diesen Einschränkungen gibt es nur einen bestimmten Gestaltungsspielraum. Nehmen wir zum Beispiel die Wand, die wir für die Sancal-Büros gebaut haben: Sie wurde aus alten Bodenbelägen errichtet, die eigentlich weggeworfen werden sollten. Durch ihre dünne Aluminiumschicht reflektiert sie Sonnenlicht, wenn man sie bei Fenstern platziert, und hellt den Raum auf. Hätte ich neue Materialien gekauft, wäre das teuer geworden. Stattdessen nutzte ich kostenlose, recycelte Materialien und bezahlte lokale Arbeitskräfte – anstatt aus dem Katalog eines internationalen Unternehmens zu bestellen.

Wie beginnst du deinen Designprozess?

Ich bin Handwerker, also fertige ich viele Prototypen an. Ich arbeite viel mit Modellen. Ich beginne mit einem Prototyp einer Oberfläche oder einer ersten Einheit – zum Beispiel einem Teil eines Stuhls oder einer Lampe. Von dort aus entwickelt sich die Komposition weiter, in der Regel in enger Zusammenarbeit mit den Auftraggebern. Und ich mache keine Visualisierungen, weil ich nicht wissen kann, wie es aussehen wird, bevor ich die Wand oder den Boden geöffnet oder die vorhandenen Materialien sortiert habe. Das ist meine bisherige Arbeitsweise.

„Ich komme aus dem Design. Design ist eine Disziplin mit Verantwortung – gegenüber Materialien, Konstruktion, Natur und sozialem Miteinander.“
Lucas Muñoz Muñoz

Wie siehst du Möbel? Sind sie Skulptur, Gebrauchsgegenstand – oder etwas ganz anderes?

Ich komme aus dem Design. Design ist eine Disziplin mit Verantwortung – gegenüber Materialien, Konstruktion, Natur und sozialem Miteinander. Es geht über Ästhetik hinaus. Ich versuche funktionsfähige Objekte zu machen, vielleicht künstlerisch-funktionale Objekte. Nehmen wir zum Beispiel die ausgedienten Leuchtstoffröhren, die wir bei Mo de Movimiento als Lampenschirme verwendet haben: Sie strahlen Licht aus und sind somit Lampen, vielleicht skulptural, aber dennoch funktional. Letztlich geht es mir um funktionale Lösungen.

Bei ihrem jüngsten Büroprojekt für Mo de Movimiento in Madrid setzten sie auf die radikale Wiederverwendung von Materialien. Wie hat dem Kunden diese Idee gefallen?

Die Kommunikation meiner Arbeit ist über 20 Jahre hinweg organisch gewachsen. Dadurch kommen inzwischen sehr spezifische Auftraggeber zu mir – mit besonderer Offenheit und oft einer Art Carte blanche, was ungewöhnlich ist. Es geht weniger um einzelne Projekte, sondern mehr um einen fortlaufenden, kollaborativen, explorativen Arbeitsprozess. Und in einigen Projekten wiederhole ich Lösungen aus anderen, weil ich auf dieselben Probleme stoße – etwa Leuchtstoffröhren.

Auch dein Projekt für den Sancal-Showroom in Madrid war unkonventionell. Alte Bodenpaneele wurden zu Lichtreflektoren, Bodenstützen zu Kleiderschränken, Neonröhren zum skulpturalen Mittelpunkt. Wann entscheidest du, ob etwas Möbel oder Wandverkleidung wird?

 

Leuchtstoffröhren sind immer noch Leuchtröhren. Ich finde sie an sich schon schön. Und sie sind absolut nicht recycelbar. Man gibt sie im Baumarkt ab, dort werden sie in einen Karton gepackt und zu einer sicheren Vernichtungsstelle gebracht. Das Glas ist so dünn, dass es nie wieder Glas wird. Das Aluminium ist so dünn, dass es nie wieder Aluminium wird. Es wird einfach sicher vernichtet. Also sollte es den Raum nie verlassen. Für das Restaurant Mo de Movimiento habe ich sie als Lampe neu interpretiert – im Wissen, dass dieses Material zu wertvoll ist, um es wegzuwerfen. Wir haben diesen Prozess in den Büros von Sancal wiederholt. Dabei ist es uns auch gelungen, eine große Menge Material zu verarbeiten, das zuvor als nicht recycelbar eingestuft wurde. Ausgangspunkt war für uns die Frage: Was würde mit all dem hier passieren, wenn es weggeworfen würde? Jedes Material, das nicht wiederverwertet werden kann, muss auf kreative Weise aufbewahrt werden. Das ist unsere Herausforderung.

Dieses Jahr hast du einen ganzen Raum im spanischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig übernommen. Kannst du uns mehr über das Konzept dahinter erzählen?

Es war eine ziemliche Überraschung, eingeladen zu werden, da ich kein Architekt bin. Aber es zeigt den Wert transdisziplinärer Arbeit. Wir haben eine Installation mit zwei massiven, ikonischen Säulen geschaffen. Objekte der Neugier gewissermaßen. Wir sind in das Stadtgebiet von Madrid gegangen und haben Elemente von Gebäuden aus dem 18. bis 20. Jahrhundert dokumentiert – Strukturen, die heute als Teil der städtischen Identität geschützt sind. Gleichzeitig fragen wir uns, was mit den Baurückständen geschieht – insbesondere jenen aus den schlecht gebauten Nachkriegswohnungen der 1950er bis 1970er Jahre. Diese betrachten wir heute gewissermaßen als geologische Schicht. Statt dies als Abfall zu behandeln, schlagen wir vor, dass die Materialien wiederverwendet werden – transformiert von Resten zu Ornamenten – als Teil einer neuen Architektur und Identität unserer Städte. Wenn wir dieses Material wertschätzen, bleibt es länger erhalten. Das war der Kern unserer Botschaft im Pavillon: Auch Rückstände können etwas Schönes und Dauerhaftes werden.

Innenräume werden intensiv genutzt, sind kurzlebig und trendorientiert. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um – etwas Langlebiges zu gestalten in einer Welt, die selten Bestand zulässt?

Das ist etwas, das ich nicht vollständig kontrollieren kann. Ich hoffe natürlich, dass sie langlebig werden. Aber ich kann es nicht wissen. Ich muss mit diesem Widerspruch arbeiten. Deshalb lautet eine meiner Regeln: Wenn ich ein Problem erhalte, soll die nächste Person dasselbe Problem erhalten. Wenn ich also ein Material bekomme, bei dem Fasern in Gips verkapselt sind, dann kann ich nur mit Faser oder Gips arbeiten, um die Lösung zu finden. Die Beschreibung der Materialien – wie bei einem Gemälde oder einer Museumsskulptur – muss unverändert bleiben, nachdem ich daran gearbeitet habe. Wenn ich etwas hinzufüge, dann muss es etwas sein, das wieder entfernt werden kann. Ich gebe dasselbe Problem an die nächste Person weiter, die in der Zukunft den Raum renovieren wird. Man muss im Kopf behalten: Die Materialkonfiguration, die man jetzt schafft, wird das Problem eines anderen in der Zukunft sein.

„Wir tun das nicht wegen der globalen Klimakrise. Wir tun das, weil dahinter eine riesige kreative Möglichkeit steckt, die mit der Identität des Lokalen verbunden ist – mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft.“
Lucas Muñoz Muñoz

Und jeder Raum hat eine andere Materialität.

Ja! Das macht es sehr, sehr einzigartig. Es ist etwas, das sich nicht wiederholen lässt. Ich kann kein weiteres Sancal-Büro auf die gleiche Weise an einem anderen Ort bauen, weil ich nicht Zugang zu denselben Materialien habe. Wir arbeiten, indem wir die Räume erschließen. 

Ich denke, es ist wichtig, das alles grundsätzlich positiv zu formulieren. Wir tun das nicht, um Material zu sparen. Wir tun das nicht wegen der globalen Klimakrise. Wir tun das, weil dahinter eine riesige kreative Möglichkeit steckt, die mit der Identität des Lokalen verbunden ist – mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft. Und wir tun es, weil es dadurch als kreativer und materieller Akt bedeutungsvoller wird. Es hat eine Geschichte, die aus seinen Erfahrungen entstanden ist, und durchläuft eine interessante Transformation. Wenn dies der Ausgangspunkt ist, dann eröffnet das gesamte Projekt einen neuen Dialog mit uns als Nutzer*innen, Menschen und Bewohner*innen dieses Planeten.

Über die ICONIC AWARDS

Mehr Sichtbarkeit, mehr Chancen – die neuen ICONIC AWARDS bieten eine Bühne für die Ideen und Projekte von morgen. Entfalten Netzwerk- und Business-Möglichkeiten und ebnen Wege zu neuen Märkten. Sie richten sich an Architekt*innen, Designer*innen und Unternehmen, die mit visionären Projekten, innovativen Produkten und nachhaltigen Konzepten die Zukunft mitgestalten.

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