Das Magazin des German Design Council
Sonderpreisträger der ICONIC AWARDS 2023: Matteo Thun mit der Waldklinik im thüringischen Eisenberg Foto: Matteo Thun & Partners, © Gionata Xerra
Healing Architecture

Wenn Räume heilen

ICONIC AWARDSArchitektur
Krankenhäuser waren einst sterile, funktionale Orte. Heute wird ihre Architektur immer öfter Teil des Heilungsprozesses. Es entstehen Gebäude und Räume, die den Menschen ganzheitlich ansprechen. Auch die Gewinner*innen der ICONIC AWARDS 2025 zeigen, wie innovative Klinikarchitektur das Wohlbefinden fördert und den Genesungsprozess unterstützen kann.

Das Krankenhaus glich lange einem Maschinenraum der Moderne, neonkalt und effizient. Hier wurden Menschen nummeriert und vermessen, durchleuchtet und sediert. Und nicht selten griff die Architektur die Maschinenmetapher selbst auf und mutierte zur Klinikmaschine, die Patienten (Leidende) durch ihre Eingeweide pumpte, sie behandelte und wieder ausspuckte.

Wenn „Healing Architecture“1 also klinische Kälte verbannt zugunsten einladender Foyers, weicher Akustik, Naturbezug und gedämpftem Licht, das durch textile Vorhänge einfällt, geht es zurück zu einer Medizin, die den ganzen Menschen in den Blick nimmt und sein Wohlbefinden jenseits von Kalorientabellen und normierter Beleuchtung in den Mittelpunkt stellt. Das neue Krankenhaus verbindet atmosphärische Ansätze mit High-Tech-Medizin. Architektur darf wieder berühren.

 

1. Die WHO hat das „therapeutische Umfeld“ bereits 2021 als Qualitätskriterium für Gesundheitsinfrastruktur benannt und spricht von „people-centred – providing care that responds to individual preferences, needs and values.“

 

Architektur soll berühren

Die Waldkliniken im thüringischen Eisenberg beispielsweise verkörpern diesen Wandel. Sie sind nicht die Ersten, die das Krankenhaus neu denken, wohl aber diejenigen, die es am Konsequentesten hinterfragen und verändern. Hier spricht niemand von Patient*innen. Alles dreht sich um Gäste, welche die Verbindung aus Ambiente und „medizinischer und therapeutischer Exzellenz“ in „Deutschlands bestem Krankenhaus“ (F.A.Z.-Institut, Bewertung von 2019, zweiter Platz im Jahr 2025) schätzen. Längst halten die vom Büro Matteo Thun gestalteten Waldkliniken fünf Sterne der deutschen Hotelklassifizierung.
Die Wirkung von „Healing Architecture“ betätigen mittlerweile zahlreiche Studien. Ihr umfassender Ansatz versöhnt Mensch und Maschine. Natürliches Licht stabilisiert als Taktgeber die innere Uhr (Circadiane Rhythmik), frische Luft, ein Ausblick ins Grün und gedämpfte Akustik vermitteln Ruhe, während sorgfältig ausgewählte (Natur)-Materialien und angenehme Raumgrößen den Menschen ein Stück Privatheit in der Klinik schenken. Selbst Orientierung gibt Geborgenheit, wenn etwa Stationen um einen grünen Innenhof angelegt sind und Blickbeziehungen sich ganz natürlich ergeben. Die neue Klinik wandelt sich so von reiner Infrastruktur zum stabilisierenden Element auf dem Weg zur Genesung. Sie ist kein ästhetischer Luxus, sondern ökonomisch sinnvoll. Kürzere Liegezeiten, weniger Medikamente und geringere Rückfallquoten sind die Folge.

„Klinikarchitektur ist zu einem der spannendsten Felder modernen Bauens geworden. Eine Aufgabe, die soziale, technische und zutiefst menschliche Felder verbindet.“

Ferien auf dem Dach

Klinikarchitektur ist zu einem der spannendsten Felder modernen Bauens geworden. Eine Aufgabe, die soziale, technische und zutiefst menschliche Felder verbindet. Und es geht nicht allein um Neubauten, gerade im intelligenten Weiterbauen und Renovieren der in die Jahre gekommenen Substanz steckt viel Musik. Das beweist etwa das durch die Wörner Traxler Richter Planungsgesellschaft mbh runderneuerte Universitätsklinikum Münster. Die markanten Bettentürme des ursprünglich 1982 errichteten Hauses von blieben erhalten, sie wurden sogar aufgestockt. Von der neuen Café-Lounge im Ostturm reicht Blick weit über das hügelige Münsterland. Grüne Terrassen öffnet das Haus für alle, die interdisziplinäre Station der siebten Ebene erinnert mit hellen Holzoberflächen, zurückhaltenden Farben und sorgfältig gesetztem Licht an ein gehobenes Hotel. Hier entsteht – mitten im System Krankenhaus – etwas Neues, Zukunftsfähiges.

Diese Erfahrung lässt sich auch beim Kinderspital Zürich machen, welches das Team von Herzog & de Meuron als Gegenstück zum Status Quo gestaltete, als Gegengift zu den „hässlichsten Orten überall auf der Welt“, wie Jacques Herzog einmal meinte. Das dreigeschossige Krankenhaus ist als kleine Stadt angelegt: Plätze und Parcours vernetzen die Abteilungen, auf jeder Etage liegen grüne Innenhöfe. Auf dem Dach ist sogar eine kleine Feriensiedlung entstanden: 114 Holzhäuser, 114 Einzelzimmer, in denen die Eltern mit übernachten dürfen. Projektleiterin Christine Binswanger ließ sogar 250 Bäume rund um das Haus pflanzen. Plötzlich wird Heilung anders gefasst: Es geht um Feinstoffliches, das mit allen Sinnen genossen werden kann.

„Plötzlich wird Heilung anders gefasst: Es geht um Feinstoffliches, das mit allen Sinnen genossen werden kann.“

Der Anti-Warteraum

Die Kinder- und Jugendklinik Freiburg entstand in Kooperation der Architekten des Health Teams Vienna, Albert Wimmer ZT GmbH & Architects Collective ZT GmbH, und dem Büro KOPVOL architecture & psychology (Rotterdam und Berlin). Schon die lichte Eingangshalle der Kinder- und Jugendklinik Freiburg macht deutlich: Diese Klinik steht allen Menschen offen. Licht und Luft, Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Und der „Anderswarteraum“ denkt das nervenaufreibende Warten neu. Warten wird zu Wahrnehmen, Entdecken, Erobern. Es gibt eine geschützte Ecke für stillende Mütter, Kuschel- und Rückzugssessel, Klettereinheiten und Schaukeln. Der „Anti-Warteraum“ fordert dazu auf, vollständig in Besitz genommen zu werden und wirkt wie ein riesiges Pop-up-Kinderbuch, dessen Seiten sich im Raum auffalten. Der Freiburger Weg nimmt Kinder in ihren Ängsten, Bedürfnissen und Stärken ernst. Konsequent kennt auch die Zonierung des Raums keine starren Grenzen.

Auf dem Weg zu sozialer Architektur

Die neue Baukultur des Heilens knüpft mit modernsten Mitteln an alte Gewissheiten an. Sie schafft Räume für Therapien und Behandlungen, die Gesundheit fördern, körperlich wie seelisch. „Healing Architecture“ ist auf dem Weg zu einer wahrhaft sozialen Architektur und bricht dafür mit Klischees, wie eine Klinik auszusehen hat. Ihre Grundidee klingt so einfach wie selbstverständlich: Der gebaute Raum wirkt auf Körper und Geist – und das nachweisbar. Kliniken werden wieder zu Orten, die Menschen in ihrer Vielfalt und Wünschen ernst nehmen und gesunden lassen. Dafür sollten die Prinzipien der „Healing-Architecture“ endlich auch in allen Ausschreibungen einen prominenten Platz einnehmen.

Kinder- und Jugendklinik Freiburg
Kinder- und Jugendklinik Freiburg
Neubau Kinderspital in Zürich
Neubau Kinderspital in Zürich
Neubau Kinderspital in Zürich

Über die ICONIC AWARDS

Mehr Sichtbarkeit, mehr Chancen – die neuen ICONIC AWARDS bieten eine Bühne für die Ideen und Projekte von morgen. Entfalten Netzwerk- und Business-Möglichkeiten und ebnen Wege zu neuen Märkten. Sie richten sich an Architekt*innen, Designer*innen und Unternehmen, die mit visionären Projekten, innovativen Produkten und nachhaltigen Konzepten die Zukunft mitgestalten.

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