
So fährt BMW mit der Neuen Klasse in Richtung Zukunft

Mit dem iX3 präsentierte BMW in München nicht einfach nur ein neues Auto. Während es in der gesamten Branche kriselt, markiert das vollelektrische SAV (Sports Activity Vehicle) den Auftakt für eine ambitionierte Modellgeneration. Sie trägt den Namen „Neue Klasse“ und ist geprägt von grafischer Schlichtheit, sympathischen Zügen und einem innovativen Anzeige-Bedien-Konzept im Interieur. Wie es zur neuen BMW-Identität kam, erfuhren wir vom BMW Group Designchef Adrian van Hooydonk persönlich. Der Niederländer gestaltet seit 1992 für BMW. Von 2000 bis 2001 ist er Leiter der Abteilung Automobildesign im und anschließend Präsident des Design- und Innovationsstudios BMW Group Designworks am US-Standort in Los Angeles. 2004 wechselt er als Leiter BMW Design nach München. Seit 2009 ist er Head of BMW Group Design und damit verantwortlich für die Marken BMW, MINI und Rolls-Royce.
Der BMW iX3 ist mehr als nur ein neues Fahrzeugmodell. BMW möchte mit der in diesem Zuge lancierten Neuen Klasse auch ein neues Kapitel aufschlagen. Klingt nach einem weitreichenden Vorhaben – wo fängt man da an?
Zunächst einmal gilt es immer, sich zu überlegen, welche Probleme man lösen möchte. Wir haben uns also Gedanken über die Zukunft gemacht. Klar war: In Sachen Technologie wird es zügig gehen. Wir werden bei der Elektromobilität größere Schritte machen, ebenso bei der Nachhaltigkeit. Teil unseres Vorhabens ist es, mehr Rezyklate zu verwenden, damit wir unserem Plan, zirkulär zu werden, näher kommen. Und wir wollen in der Formensprache etwas Neues finden, das weltweit funktioniert. Darum war es uns wichtig, dass die neue Form von für uns jüngeren Märkten als ausgesprochen modern wahrgenommen wird, während in anderen Märkten zwar ein modernes Fahrzeug erkennbar ist, zugleich aber auch unser Erbe spürbar bleibt. Und dann haben wir losgelegt, uns mit unseren Kolleg*innen aus der Technik ausgetauscht, skizziert und modelliert. So kamen wir unseren Zielen sukzessive näher.
Wie lauteten diese Ziele konkret?
Wir wollten eine Form finden, die sehr charakteristisch, aber auch schlicht ist. Dieser scheinbare Widerspruch sollte uns dabei helfen, ein Design zu entwickeln, das gerade dadurch langlebig wird. Anhand eines neuartigen UX/UI-Konzepts wollten wir zudem sehr zeitgeistig sein – also beweisen, dass wir verstanden haben, was unseren Kund*innen hinsichtlich digitaler Aspekte wichtig ist.
An welchem Punkt waren Sie sich sicher, dass Sie die richtige Designlinie für die nächsten zehn Jahre gefunden haben?
Die ehrliche Antwort: Diesen Punkt gab es nicht. Irgendwann kommt der Tag X, an dem man entscheiden muss, ob das Design jetzt so stimmig ist oder nicht. Nach einem internen Designwettbewerb mussten wir uns am Ende einfach festlegen – auch weil bis zum eigentlichen Launch ja noch sehr viel an Entwicklung stattfinden musste: die Design-Technik-Konvergenz herstellen, Prototypen bauen, testen und so weiter. Für uns hieß das, wir entscheiden uns hier und heute für das neue Bedienkonzept, die neue Formensprache, die Proportionen. Das ist immer ein sehr spannender Moment. Immerhin muss das, was man da beschließt, nicht nur bis zum Launch den Bedürfnissen der Kund*innen gerecht werden, sondern mindestens noch in den acht Jahren darauf, in denen das Auto auf dem Markt ist. Gerade im digitalen Bereich sind wir mit dem BMW Panoramic iDrive einen aus meiner Sicht weitreichenden und mutigen Schritt gegangen. Wir räumen damit das gesamte Dashboard auf: Es gibt kein Kombiinstrument mehr hinter dem Lenkrad, sondern eine durchgehende Bedienanzeige am unteren Rand der Windschutzscheibe. Und zusätzlich ein Touchdisplay oberhalb der Mittelkonsole.
Wie würden Sie die neue Formensprache in wenigen Worten zusammenfassen?
Das Design der Neuen Klasse ist clean, im Interieur aufgeräumt, aber warm. Man könnte es „Shytech“ nennen. Es hat die modernste Technologie an Bord, diese zeigt sich aber nicht so offensichtlich. Wir wollten, dass das Ganze nicht überwältigend wirkt. Insass*innen sollen sich wohlfühlen und das Gefühl haben, die Technik kontrollieren zu können.
In den nächsten Jahren sollen rund 40 neue Fahrzeugmodelle mit den Merkmalen der Neuen Klasse folgen. Werden sie alle wie Modifikationen des iX3 aussehen?
Wir führen den iX3 als erstes Serienfahrzeug der Neuen Klasse ein. Dann geht es schnell: 2026 folgen weitere Autos, die diese Technologien und – in all ihrer Eigenständigkeit – auch diese Formensprache wiedererkennen lassen. In zwei bis drei Jahren wird dann das ganze Look-and-Feel von BMW ein anderes sein.



Beim iX3 sprechen wir von einem E-Auto. Wird die neue Formensprache auf alle Motorisierungsvarianten Anwendung finden?
Wir werden diese neue Formensprache auch auf Verbrennungsmotoren ausrollen. Somit können Kund*innen frei nach Gusto oder Lademöglichkeiten entscheiden.
In welchen Bereichen geht BMW anderen Automarken voraus?
Dem Wettbewerb voraus sein wollen wir beim Thema Fahren natürlich immer. Gleichzeitig erhoffen wir uns auch, in puncto Design und Technologie als äußerst modern wahrgenommen zu werden. Und das, obwohl wir im Vergleich zu vielen neuen Playern alt sind. Aber wir glauben, dass wir mit gewissen Technologien wie dem Anzeige-Bedien-Konzept Panoramic iDrive trotzdem ziemlich weit vorne dabei sind.
Von welchen Details erhoffen Sie sich eine besonders lange Beständigkeit?
Teil der Neuen Klasse wird sein, dass wir die Lebenszyklen der Fahrzeuge verlangsamen – um ein Jahr gegenüber unseren bisherigen Zyklen. Das hilft uns, die Investitionen umzulegen auf mehr Produkte und diese dann länger im Markt zu haben, womit wir auch dem Thema Nachhaltigkeit näherkommen. Das funktioniert aber nur, wenn man hinsichtlich Technologie und Design ausreichend Neues integriert. Zugleich sind wir überzeugt, dass ein weniger komplexes Design per se auch gute Chancen hat, langlebig zu sein. Wenn man sich zum Beispiel heute einen i3 (Marktstart 2013) anschaut, so wirkt dieser noch immer sehr zeitgemäß, obwohl er schon längst nicht mehr produziert wird. Dasselbe erhoffe ich mir von der Neuen Klasse.


Ein gutes Stichwort. Mit dem i3 haben Sie vor gut 15 Jahren den Look der ersten BMW-Generation mit Elektroantrieb verantwortet. Er wurde zu einem Statement, an dem sich anfangs die Geister schieden. Müssen Elektrofahrzeuge heute wieder „normaler“ aussehen, um bei Käufer*innen Anklang zu finden?
Das hängt vom Segment ab, in dem man unterwegs ist. Auch der zeitliche Fortschritt spielt eine Rolle. Als wir den i3 entwickelten, hatten die wenigsten BMW-Kund*innen Berührungspunkte mit Elektrofahrzeugen, allenfalls mit einem Golf-Cart. Und das war meilenweit entfernt von einem BMW, so wie sie ihn kannten. Das heißt, der i3 lag völlig am Rande ihrer Erlebniswelt und wurde kaum als Teil von BMW begriffen. Dennoch wurde er mit Interesse verfolgt. Und dann hat es wiederum den Effekt gegeben, dass Menschen, die bis dato keinen BMW fuhren und den i3 sahen, sagten: „Hey, das hätte ich von euch nicht gedacht. Jetzt ist BMW für mich interessant.“ Es hatte damals eigentlich genau die Wirkung, die wir brauchten: Es führte zu einem Diskurs innerhalb und außerhalb der Marke, obwohl der i3 ein Nischenprodukt unseres Produktportfolios war. Heute reden wir über den iX3. Er ist Kern unserer Modellpalette und da wollen wir nicht herumexperimentieren. Hier möchten wir ganz gerne, dass unsere treuen Kund*innen ihn schnell akzeptieren.

Die Neue Klasse nimmt auch Bezug auf eine Reihe alter Ikonen von BMW. Inwiefern?
In der Front des iX3 haben wir eine Neuinterpretation eines BMW-typischen Gesichts, wie wir es von der alten Neuen Klasse, dem BMW 1800 (1963) oder dem 2000er (1966), kennen. Genau wie damals bringen wir die Nieren und Scheinwerfer zu einer grafischen Einheit zusammen, nur haben wir jetzt viel mehr Technologie integriert. Es verbergen sich Sensoren und Kameras dahinter – also alles, was man heutzutage braucht, um das Auto intelligent zu machen und halbautonom fahren zu lassen. Als gestalterisches Detail nutzen wir kein Chrom mehr rund um die Nieren, sondern haben diese nun mit Licht eingerahmt.
Welche Rolle spielt diese Hervorhebung des gestalterischen Erbes für die Zukunft der Marke?
Solch ein Zitat ist für uns ganz entscheidend. Jedoch tatsächlich weniger wichtig für den Rest der Welt als für uns in Europa , wo man sich weiterhin mit der Marke, zugleich aber mit einer neuen Art von BMW identifizieren können soll. Ich bin überzeugt: Wer unsere Historie kennt, erkennt sie in dieser Front wieder. Umgekehrt schadet es in den anderen Märkten nie, wenn es diesen Bezug zur Historie gibt.
„Im Design der Neuen Klasse erkennt man die Historie von BMW, aber auch den Weg nach vorne.“
Adrian van Hooydonk
Welche Einflüsse haben Architektur, Städtebau, Mode, Möbeldesign und Kunst auf das Erscheinungsbild von Autos?
Für mich ist diese Frage immer sehr wichtig. Ich interessiere mich für alle kreativen Bereiche, denn wir wollen ja, dass unsere Produkte auch in den Städten der Zukunft relevant sind. Darum sollte man schon ein bisschen verstehen: Wie ticken Architekturschaffende, was planen und denken sie? Moderne Kunst ist daneben ein kreativer Bereich, der sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzt. Es lohnt sich, sie nicht nur als Inspiration zu betrachten, sondern auch mal hinzuhören: Über was reden die denn gerade? Was möchten sie uns sagen? Mode, Farbe und Materialität bleiben wichtige Themen. Gerade in Hinblick auf das Interieur von Autos glauben wir, dass diese immer wohnlicher werden – während die Fahrzeuge gleichzeitig immer technologischer und intelligenter werden.


Auf welche Weise wird KI am Fahrzeugdesign der Zukunft mitwirken?
Wir sind nicht mehr weit entfernt davon, die KI wirklich in unsere Designprozesse zu integrieren. Mit ihrer Unterstützung kann man schneller von einer Skizze zu einem Modell kommen und dann lässt sich das Modell auch noch animieren. Früher waren das mehrere Prozessschritte. Ich glaube, uns als Designteam bringt das auf ein anderes Level an Performance. Bisher konnten Skizzen nur von Designer*innen interpretiert werden. Aber einen Film, in dem ein Auto fährt, können schon viel mehr Menschen verstehen. Mir geht es dabei nicht zwingend darum, unsere Geschwindigkeit zu erhöhen, sondern es wird unsere Entscheidungsqualität verbessern. Viele Prozesspartner werden leichter verstehen, worauf wir hinaus wollen.
Ihre Karriere bei BMW startete vor 33 Jahren – 1992. Unmittelbar davor haben Sie, mit dem Industriedesign-Master der Polytechnischen Universität Delft in der Tasche, in der Schweiz noch einen Abschluss in Automotive Design am ArtCenter College of Design absolviert. Haben Sie jemals daran gedacht, zu einer anderen Marke oder in ein anderes Designfeld zu wechseln?
Andere Marken haben daran gedacht, aber ich habe dem Gedanken nie nachgegeben. In meiner Zeit hier bei Designworks habe ich natürlich mit vielen externen Kund*innen Kontakt gehabt. Einer davon war die amerikanische Möbelfirma Emeco, die für ihre Aluminiumstühle bekannt ist. Für sie habe ich damals einen Stuhl entworfen, der auch heute noch produziert wird. Das hat mir viel Spaß gemacht, auch weil das ein vergleichsweise schneller Prozess war. Ich fühle mich auch noch immer als Industriedesigner, mit einer Spezialisierung auf Automobildesign. Aber mir fehlt schlicht die Zeit für viele andere Sachen. Wahrscheinlich müsste ich bei BMW aufhören, um mich anderen Dingen zu widmen. Aber das steht aktuell ganz und gar nicht zur Debatte, schließlich erleben wir in der Mobilität im Moment sehr spannende Zeiten.

Als Head of BMW Group Design verantworten Sie um die 700 Designer*innen. Wie viel Handschrift von Adrian van Hooydonk steckt im einzelnen Entwurf? Haben Sie überhaupt die Gelegenheit, selbst den Stift in die Hand zu nehmen?
Für mich gehört das Zeichnen als Kommunikationsmittel zur Praxis. Manchmal ist es schneller, ein paar Striche zu machen und damit zu zeigen, was ich meine oder wie ich das sehe. In Bezug auf die Handschrift stehe ich als Designchef zwar in der Verantwortung für alles, was am Ende herauskommt. Aber ich weiß natürlich, dass ich erst einmal diese 700 kreativen Leute sprechen lassen sollte. Es geht schließlich immer darum, gemeinsam einen neuen BMW, einen neuen MINI oder einen neuen Rolls-Royce zu gestalten, und kein neues Adrian van Hooydonk-Modell. Sicher schwingt bei Entscheidungen ein klein wenig Emotionalität mit, denn es lässt sich nicht immer rational begründen, weshalb einem die eine Skizze weniger, die andere besser gefällt.
Wenn Sie heute auf Ihre Laufbahn bei BMW zurückblicken: Was macht Sie besonders stolz?
Über die Neue Klasse bin ich schon sehr happy. Darüber, dass wir jetzt so weit sind, sie launchen zu können. Das war und ist weiterhin ein Kraftakt. Aber ich kann es kaum erwarten, die Autos auf den Straßen zu entdecken. Während so einer Designentwicklung ist alles streng geheim. Du siehst erst eine Skizze, dann ein Modell. Dann siehst du vielleicht auch mal zwei Modelle. Irgendwann gehst du in das Werk, in dem das Fahrzeug gebaut wird, und es sind plötzlich ein paar Hundert. Und irgendwann siehst du das Auto in New York, Tokio, Paris oder London um die Straßenecke biegen. Für mich ist dann interessant zu sehen: Wer sitzt da drinnen, welche Ausstattung haben sie gewählt, wie nutzen sie das Fahrzeug? Dass unsere Produkte weltweit verkauft werden, ist schon etwas besonderes.


